ROBERT  OTTEN

Qualitätsmanufaktur:   Essay -  teilnehmende Beobachtung – Glosse  - Groteske

Biographisches:

Robert Otten wuchs in politisch unruhigen Zeiten des 20. Jahrhunderts in Mülheim an der Ruhr auf. Obwohl die Eltern arrivierte Akademiker waren, zogen sie mit den drei Söhnen in einen nördlichen Stadtteil. Robert ging dort zur Schule. Er bekam öfters Haue von Arbeiterkindern, was seiner Menschenfreundlichkeit aber nicht dauerhaft geschadet hat. Otten fing an zu schreiben, bald nachdem er das Lesen erlernt hatte. Der von posttraumatischen Komplexen heimgesuchte Schulleiter seiner Grundschule betrieb Mißbrauch mit den Namen seiner Schützlinge, die er im Musikunterricht notorisch lächerlich machte. Auch auf Klassenfahrten ins Sauerland praktizierte er systematisch Schikanen mit 10 jährigen Kindern. Der Mißbrauch ist bis heute nicht geahndet worden. Da das Gymnasium in den 1980er Jahren noch keine Bildungsturbo-Burnout-Veranstaltung war, absolvierte Otten es im Halbschlaf, mit entsprechendem Notenergebnis. Sein Schulweg führte jahrelang dicht an Helge Schneiders Zuhause vorbei, wovon beide nichts wußten! Robert Otten absolvierte keinen Bundeswehrdienst, dafür eine Berufsausbildung als Koch. Er besitzt ausserdem einen akademischen Grad, der es ihm trotz der Ruhrgebietsherkunft ermöglicht, sich zu entsprechenden Anlässen würdevoll zu artikulieren. Er trägt keinen Bart. Sein Text „Die Unterseite is total verbrannt“ wurde 2007 nominiert für einen Academy-Award in den Kategorien „bester Nebensatz“ und „bester jugendfreier Gag“.  

Robert Otten wohnt heute in einer abgelegenen Waldhütte in einem westlichen deutschen Mittelgebirge. Dort hängt er Jagdwürste in den Kamin und sucht im Wald nach Kräutern. Er besucht ca. einmal pro Woche eine rheinische Großstadt, wo er menschliche Studien und sich Notizen macht.

 

Die Zehn Gebote des künstlerischen Vorlesers

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Gebot eins: Das Kino im Kopf.  Beachten Sie, daß Vorlesen eine Tätigkeit ist, die die meisten Menschen aus ihrer Kindheit als natürliche Einschlafhilfe  kennen. Vorlesen stellt fast alle Regeln der üblichen Bühnenunterhaltung auf den Kopf, weil Ihre Zuhörer immer wegdämmern wollen.  Als Vorleser müssen Sie keine Gutenacht-Story, sondern einen pausenlosen Mr-Bean- King-Kong-Hitchcock-Terminator- Spielberg-Action-und-Pointen-Schocker liefern. Andernfalls fallen 80% Ihres Publikums schon nach 4 Minuten verständlicherweise ins Wachkoma. Viele Schreibende bewundern z.B. Charles Bukowski und finden es für die  Aufmerksamkeit sinnvoll, ihre Texte reichlich mit knackiger Pubertätssprache à la Fressen-Ficken-Fummeln vollzustopfen. Achtung! Der grosse Griff in die Obszönitätenkiste und der Kraftausdrücke ist ungut. Die Alternative: Wenn Sie Themen ausserhalb der Charlotte-Roche-Schulkloliteratur vortragen möchten, garnieren Sie einfach Ihre Texte alle 90 Sekunden mit Prominentennamen.

Lesen Sie ein beliebiges Laberthema und bauen Sie als Publikumsweckruf berühmte Namen ein, also: laberlaberlaber Mao-Tse-Tung....bleierbleierbleier Gloria von Thurn und Taxis...schnatterschnatterschnatter......Leonardo Da Vinci...murmelmurmel.....Hans Rosenthal…..ratter-ratter

Da schrecken Ihre Zuhörer rhythmisch hoch und die Ohren sind wieder angespitzt!     

Gebot zwei: Bringen sie zu Gruppenlesungen mehrere Texte mit. Seien Sie flexibel! Wenn Sie Ihren Lieblingstext lesen wollten, also den mit dem Titel „Ich gegen alle Lügner und Betrüger dieser Welt einschliesslich Dir!“ oder Ihren zweitliebsten „Oh Sarah, oh Du Böse, warum hast du mich verlassen?“ wird bestimmt  ein Lesekollege mit einem ähnlichen Thema kommen. Manche Mikrophone sind überempfindlich und reagieren auf die Konsonanten P, T und K mit einem knalltütenartigen Puffgeräusch. Bereiten Sie für den Fall einen Text vor, der auf die genannten Mitlaute verzichtet.

Gebot drei: Lesen Sie nicht von Barhockern herunter, auch wenn`s noch so cool ist! Tragen Sie Ihre Literatur wie ein Gutenachtgeschichtenopa aus einem Lesestuhl oder im Stehen vor! Auf Barhockern sitzend sackt Ihre Lunge zusammen. Sätze von mehr als fünf Wörtern fallen durch Atemluftmangel peinlich auseinander. Sie bekommen Schnappatmung wie Horst Schlämmer und hinterlassen einen Eindruck wie ein Superstar-Casting-Versager vor Dieter Bohlen.

Wir wollen nicht vergessen, daß die Redner Lenin, Hitler und Mussolini übelste Volksverführer waren, aber ihr Erfolg beruhte auch darauf, daß sie ihre grossen Reden ans Volk im Stehen und nicht von Barhockern herunter gehalten haben.

Gebot vier: Auf fast jeder humoristischen Lesung gibt es auf den hinteren Publikumsplätzen einen weiblichen Gast, der bei jeder Pointe oder Nicht-Pointe überlaut wiehernd loslacht. Die Branche nennt diese Frau das „Quotenpferd“. Das Gewieher des Quotenpferds  steckt natürlich andere Gäste an, was immer gut ist. Quotenpferdegelächter ist aber kein Indikator für die Lustigkeit Ihres Vortrags. Das Quotenpferd hat vor  dem Besuch Ihrer Lesung vielleicht schon drei Bacardi-Cola weggetrichtert, hat leicht einen in der Glocke und oberhalb von 0, 6 Promille Blutalkohol wird alles lustig, auch ein Text über den 11. September wird irgendwie lustig.  Überprüfen Sie die Witzigkeit Ihrer Literatur!

Gebot fünf: Ihre Garderobe.  Die Erwartungshaltung ihres Publikums wird zu 99 Prozent von Ihrer Kleidung gesteuert. Die Punk-Ära der 1980er Jahre hat im Schubladendenken aller Gesellschaftsschichten ganze Arbeit geleistet. Wenn Sie Literatur aus dem Genre „Meine Kindheit am Südpol während der Nazi-Diktatur“ vortragen,  tragen Sie  keine Segelschuhe und Rollkragenpulli, sondern ein typisches Kulturfuzzy-Outfit, meinetwegen knittriges Oberhemd, Seersucker-Stoff und siebziger Jahre-Krawatte.  Auf Poetry-Slams herrscht eine minimal jugendlich subkulturell angepunkte Rebel-Atmosphäre. Insbesondere der Rundfunk bemüht sich hier um eine juvenil-revolutionäre Atmo.  Die Zuhörer sind in grosser Zahl u-30,  man darf während Ihres Vortrags auch an Gummibärchen oder an seiner Platznachbarin lutschen. Gut angesagt ist da eine urban-verlauste Mischmaschtracht aus Graffitisprayer und Billardprofi. Leihen Sie sich die genreüblichen Rastafari-Perücken, Hosenträger, Schiebermützen. Tragen Sie Cargohosen kombiniert mit Old-School-Turnschuhen. Am besten ist, man kann Ihr Gesicht garnicht sehen, obwohl es dem Publikum zugewandt ist.

Gebot sechs: Wenn Sie mit kleinen Gagen einverstanden sind und es auf ein Publikum aus 70 % jungen Frauen aus bildungsnahen Schichten abgesehen haben, tummeln Sie sich auf Poetry-Slams. Wenn Sie Frauen über 50 amüsieren wollen, die für Ihre Lesung 20 € Eintritt bezahlen, lesen Sie aus Ihrem Buch über „Wege aus der Depression“ oder zum Thema „So habe ich mit Töpfern auf Bali den Brustkrebs besiegt.“

Gebot sieben: Trinken Sie vor und während Ihrer Rezitation keine kohlensäurehaltigen Getränke! Sprechen Sie über das, was in Ihrem Kopf gluckert, aber nicht über das, was in Ihrem Bauch gluckert!  Versuchen Sie nicht, cool zu erscheinen, indem Sie die neueste Bionade oder das regionale Bier  mit auf die Bühne nehmen. Genau bei den Sätzen, die Sie für die schönsten halten, wird das bekannte Quiekgeräusch aus ihrer Speiseröhre nach oben wandern. Als Nachwuchskünstler, der am Veranstaltungsort vom Management keine grosse Hofierung erwarten darf, besorgen Sie sich auf der entsprechenden Toilette natürliches H2O.

Gebot acht: Für Bildungsbürger der Altersgruppe über 45 sowie Buchhandelspublikum sind Lesungen ausserhalb des Krimisektors immer noch bluternste Hochkultur, die auf der Spitze der Seriösitätsskala steht. (Siehe dazu auch den Loriot-Filmausschnitt „Krawehl, Krawehl!“) Sie erwarten also von Ihnen literarische  Aufarbeitung der düsteren deutschen Vergangenheit, Texte zu Sterbehilfe oder mindestens autobiographisches über allerlei Selbstmordpläne. Wenn Sie eine humoristische Lesung zu bieten haben, bereiten Sie Ihr Publikum sanft darauf vor! Das ist schwierig, denn die Ankündigung „Achtung, jetzt kommt was witziges!“ ist per se ganz schlimm unwitzig. Deutsche Zuhörer über 50 Jahre  können Literaturhumor ohne Vorwarnung aber schlecht verpacken. Der Autor macht einen Scherz und in den Publikumsgesichtern steht geschrieben: „Der Autor macht einen Scherz. Das kann doch nur in Scherz sein.“

Gebot neun: Zwischenrufe. Zwischenrufe sind erstmal was gutes. Sie beweisen, daß Ihnen  noch jemand zuhört. Fürchten Sie den Umgang mit Zwischenrufen, engagieren sie einen schlagfertigen Feund im Publikum und statten ihn mit einem Antwortkatalog aus. („Klappe, Du Asi….“)  Hier eine Liste der beliebtesten Zwischenrufe:

„Scheisse, mein Handy“, 2. „Freiheit für Tibet“  3. „Der ist doch schon tot!“.

Zehntes Gebot: Spätestens auf Ihrer fünften Solo-Lesung wird im Publikum ein Persönlichkeitsberater, Personal-Coach oder esoterischer Erfolgstrainer sitzen, der Ihnen anbietet, Ihren Bühnenauftritt mit aktuellen amerikanischeen Trainingsmethoden aufzubessern.  Er wird Ihnen natürlich seine Karte in die Hand drücken und Sie bitten, nächster Tage mal in seiner Praxis aufzukreuzen.  Diesen Personen kann man entkommen, indem man heuchelt, daß an der Theke noch jemand von der Lokalzeitung sitzt, der unbedingt ein Interview von Ihnen braucht.

Elftes Gebot: Zehn Gebote sind völlig ausreichend. Überziehen Sie nicht immer Ihre Redezeit!